20020202 taz translation
mytitle Germany, Berlin
http://www.leipzig-award.org/deutsch/rede_preistraeger_2002.htm Rede von Alain Vivien nach der Verleihung des Leipziger Menschenrechtspreises 2002 Leipzig, Deutschland, Alte Börse am 11. Mai 2002 [Original auf deutsch] Heute tut es mir wirklich leid, dass ich die deutsche Sprache nur ungenügend beherrsche. Um so mehr, da die Lobreden, die an mich gerichtet wurden, mir völlig übertrieben scheinen. So bitte ich um Entschuldigung. Nur einige wenige Worte von mir auf Deutsch, in dieser so schönen deutschen Sprache, die ich einst an der Gutenberg Universität in Mainz auch studiert, aber seit langer Zeit nicht genug geübt habe. Deshalb spreche ich nun weiter auf Französisch und danke unserer Dolmetscherin für die Last, die sie mir abnimmt. [Übersetzung aus dem Französischen] Erlauben Sie mir zu allererst, Ihnen meine Freude auszudrücken, die ich bei der Entgegennahme dieses Preises empfinde. Die Ehrung gilt der ganzen Mission, der ich seit 1998 vorstehe, gilt der Gesamtheit ihrer Mitarbeiter und besonders auch Herrn Debord, dem Berater für die wirtschaftlichen Angelegenheiten. Seien Sie meiner starken Dankbarkeit versichert. Ich möchte auch all jenen moralischen, religiösen und spirituellen Kräften danken, die an unserem Kampf teilnehmen. Und ich möchte auch einen Gedanken des Mitleids den zahlreichen Opfer des Sektenwesens widmen, insbesondere den Jüngsten unter uns. Herr Minister, Sie hatten die Freundlichkeit, daran zu erinnern, daß Frankreich seit etwa zwanzig Jahren besonders auf das Sektenwesen achtet. Aber besonders verstärkt Frankreich seine Anstrengungen seit dem entsetzlichen Massaker, das sich in Frankreich im Jura ereignete und durch den unheilvollen "Orden der Sonnentempler" hervorgerufen wurde. Ebenso beunruhigt wurden die öffentliche Meinung und die Behörden in Frankreich angesichts der zahlreichen Betrügereien, die durch Scientology und durch andere sektiererische Bewegungen begangen wurden. 1998 hat eine Verordnung des Präsidenten der Republik auf Anforderung durch den damaligen Ministerpräsidenten, Herrn Jospin, die "Mission de Lutte contre les sectes" (MILS) geschaffen. Die Arbeit der Mission hat es ermöglicht, die Gesetzgebung zu verbessern, und auch auf dem ganzen nationalen Territorium gemeinsam mit den Betroffenen- und Opfer-Vereinigungen ein zentrales vorbeugendes Netzwerk zu organisieren. Wir sehen jetzt die ersten Ergebnisse unserer Anstrengungen: Seit zwei Jahren ist das Sektenwesen in Frankreich rückläufig, und besonders Scientology hat es immer schwerer, Anhänger zu finden. Ich füge hinzu, daß Scientology zum ersten Mal von der französischen Justiz wegen eines Verhaltens, das zu den Menschenrechten im Widerspruch steht, verurteilt wurde; früher konnten nur einzelne Scientologen, die Straftaten begangen hatten, angeklagt werden; heute ist es die Organisation Scientology selbst, auf die es die Justiz abgesehen hat. (Applaus) Und all dies unter strikter Beachtung der Freiheit der Gedanken, des Glaubens und der Äußerung der religiösen Auffassung im Rahmen der Gesetze. (Applaus) Auch auf internationaler Ebene ist viel getan worden. Vor zwei Jahren hat der Europarat einstimmig eine Empfehlung bezüglich illegaler Aktivitäten von Sekten angenommen. Das Europäische Parlament hat seinerseits im gleichen Sinn interveniert. Wir freuen uns darüber, aber wir denken auch, daß man diesen Weg weitergehen muß. Das Sektenwesen hat sich heute, wie viele andere Dinge, tatsächlich im Weltmaßstab etabliert. Unsere „Mission Interministerielle“ ist in der Lage , bei den Organen der Vereinten Nationen zu intervenieren, aber auch auf Anfragen entfernter Länder, die durch die Probleme beunruhigt sind und manchmal noch keine genügende demokratische Gesetzgebung haben, positiv zu antworten. Ich fühle mich besonders dadurch geehrt, daß ich diesen Preis in Leipzig erhalte, einer Stadt, die soviel getan hat, um die Freiheit wieder zu gewinnen. (Applaus) Erlauben Sie mir, die Verleihung dieses Preises allen Opfern des Sektenwesens zu widmen, aber auch jenen, die gegen diese neue totalitäre Tendenz kämpfen, und sie so unserer Solidarität zu versichern. (Applaus) [Original auf deutsch] Liebe deutsche Freunde, Wir sind zusammen in einem Kampf, dem Kampf der Menschenwürde gegen alle Formen des Totalitarismus. Die Tendenzen des gegenwärtigen Sektierertums stellen die internationale Gemeinschaft vor neuen Herausforderungen. Diese Herausforderungen zwingen uns, zusammen zu arbeiten. Sie erfordern die Entwicklung von Grundlagen einer gemeinsamen europäischen Gesetzgebung, die ein erster Schritt sein könnte zu einer weltweiten Haltung aller Demokratien auf diesem Gebiet. (Applaus) Im Zusammenhang mit dieser Perspektive begrüße ich die Tapferkeit unserer amerikanischen Freunde, die in ihrem Land mit den wichtigsten internationalen Sekten und den sichtbaren oder unsichtbaren Verbündeten der Psychogruppen konfrontiert sind. Ich möchte mit hoffnungsvollen Worten schließen: Die Geschichte hat uns gezeigt, dass es den Menschen immer wieder gelungen ist, auch die schlimmsten Schwierigkeiten zu bewältigen. Das gilt sogar für Verhältnisse, deren Überwindung unmöglich erschien. In diesem Zusammenhang wissen unsere deutschen Freunde, gerade hier in Leipzig, viel. Nun, allons! Los! Gehen gemeinsam los. Gehen wir mit Gelassenheit und Bestimmtheit in unsere gemeinsame Zukunft. (Applaus) --- Le Parisien , Mittwoch 19. Juni 2002 Combs-la-Ville Sekten: Vivien demissioniert Der 63jährige ALAIN VIVIEN, ehemaliger Bürgermeister (PS) von Combs-la-Ville, hat gestern seinen Abschied von der 'Mission Interministérielle de Ltte contre les Sectes' bekannt gegeben, welche er seit ihrer Gründung im Jahr 1998 präsidierte. Sein Mandat wäre erst 2003 abgelaufen. Nach seiner eigenen Aussage steht diese Demission nicht im Zusammenhang mit dem Wahlerfolg der Rechten für die Legislative. Der Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten in der Regierung von Edith Cresson (1991-1992) wurde 1983 als Abgeordneter des Departements Seine-et-Marne gewählt und war der Autor eines ersten Berichts über Sekten in Frankreich. Von 1977 bis 1983, dann von 1989 bis 1992 war er ebenfalls Bürgermeister von Combs-la-Ville, eine der wichtigsten beteiligten Gemeinden an der neuen Stadt Sénart. Ernannt als Präsident "ehrenhalber und auf bestimmte Zeit", versäumte es Alain Vivien nicht an die von Beginn weg sich stets wiederholenden gegen ihn gerichteten Prozesse, insbesonders durch die Scientology Kirche, und an die Bedrohungen zu erinneren, denen er im Verlaufe seines Mandats ausgesetzt war.